Was ist gutes Deutsch? Eine Frage auf die es hunderte Antworten gibt. Ist es perfekte Rechtschreibung und Grammatik? Hochdeutsch? Oder was ganz anderes?

Wolf Schneider schreibt in seinem Buch Deutsch für junge Profis: „Mit perfekter Grammatik lassen sich die scheußlichsten Sätze zimmern — in akademischen, bürokratischen und vielen journalistischen Texten täglich nachzulesen. Auf der Basis der korrekten Grammatik muss ich eine Kunst erlernen, die in der Schule ignoriert worden ist: wie man für Leser schreibt.“

Für mich heißt das: Regeln kennen und wissen, wann und warum man sie bricht.

Um den trockenen Regelkram ein bisschen aufzumotzen, verkaufe ich im Verlauf des Blogartikels Katzenstreu. Disclaimer: Ich übertreibe an manchen Stellen und Geschmäcker sind verschieden.

Wir erfahren, welche Wortarten neidisch auf andere sind und was wir uns von Breaking Bad abschauen können. Wir lernen, warum Schreibregeln nicht in Stein gemeißelt sind, und warum wir Ausdrücke wie „in Stein gemeißelt“ nicht mehr verwenden sollen. Und Mark Twain belehrt uns, warum die deutsche Sprache furchtbar ist.

Mark Twain und die schreckliche deutsche Sprache

Mark Twain beschwerte sich in seinem satirischen Essay The Awful German Language über die deutsche Sprache. Sie sei unsystematisch und habe mehr Ausnahmen als Regeln. Die Deutschen würden Nebensatz an Nebensatz an Nebensatz reihen und das Verb stehe erst am Schluss.

Dear Mr. Twain: Gegen Ausnahmen von Regeln können wir nichts machen. Ich habe in der Schule ja auch nicht meine Französischbücher in die Ecke geschmissen: „Merde! Schon wieder eine Ausnahme!“ (einmal hab ich das sicher getan).

Sprachen haben Regeln. Ausnahmen gehören zu diesen Regeln. Wir ändern unsere Sprache nicht, nur damit Herr Zwirbelbart sie lernen kann.

Mark Twain hat trotzdem recht.

Das Deutsche neigt zu Langatmigkeit, wie das Wort Langatmigkeit. Eine Mitschuld tragen zusammengesetzte Substantive.

Waffenstillstandsverhandlungen und Generalstaatsverordnetenversammlungen sind korrekte, deutsche Wörter. Twain bekrittelt den Irrsinn zurecht, auch wenn solche Beispiele in der Praxis kaum vorkommen. Twain gibt in seinem Essay zu, dass die englische Sprache vor solchen Eigenheiten nicht sicher sei.

Schuld an den Vergehen der deutschen Sprache an die menschlichen Lauschmuscheln ist nicht die Sprache, sondern wie wir sie verwenden.

Wie können wir Mark Twain besänftigen?

Mit gutem Deutsch. Was ist gutes Deutsch und welcher Sprachdiktator entscheidet das bitte? Auf die zweite Frage habe ich keine Antwort. Für die erste gibt es Richtlinien.

ABER:

!!!SPOILER ALERT!!!

Für jede der folgenden Regeln gilt:

  1. Es gibt immer Ausnahmen.
  2. Die Dosis macht das Gift.
  3. Sprache verändert sich.
Was ist gutes Deutsch?
Ob das eine deutschsprachige Zeitung ist?

Schreibregeln für gutes Deutsch

Für folgende Regeln gelten diese Ausnahmen nicht.

Es gibt eine goldene Regel: Schreib und du wirst besser.

Die silberne Regel lautet: Lerne Schreibregeln, damit du weißt, warum du sie brichst.

Die Schreibregel in Bronze: Trau dich so zu schreiben, wie Menschen sprechen.

Adjektive: die Cosa Nostra unter den Wortarten

Jeder Schreibratgeber verkündet: Adjektive sind die größten Schurken aller Wortarten. Warum verteufeln wir sie so?

  • Manche Adjektive sind vage.
  • Die Teufel sind nicht immer die Adjektive selbst, sondern die Kombination mit anderen Wörtern.

exzellenter Service
innovative Technologie
ganzheitliche Behandlung

Diese Adjektive sagen nichts aus, weil wir sie tausendmal gehört haben. Sie sind Füllmaterial und blähen den Text auf wie das All inclusive Buffet die Urlaubsbäuche.

Dynamisch und zukunftsorientiert sind weitere Lieblinge von mir im Dschungel der Adjektive. In freier Wildbahn kannst du sie am Wasserloch der Stellenausschreibungen beobachten. Dort tummeln sie sich und wissen nicht, warum sie nicht längst ausgestorben sind.

Unter einem exzellenten Service kann ich mir nix vorstellen. Was macht den Service exzellent? Wer steckt hinter dem Service? Adjektive wie geschwind oder herzlich beschreiben den Service konkreter.

Innovativ bedeutet „neu“, „verbessernd“. Es ist nicht so vage wie exzellent, hat aber an Frische verloren.

Sogar Wiktionary weiß, wie charakteristische Wortkombinationen mit innovativ aussehen:

innovative Firma/Idee, innovatives Produkt/Projekt/Unternehmen

Schlimm wird’s, wenn Adjektive aneinandergereiht werden.

exzellente, innovative Technik

Noch schlimmer, wenn sie dieselbe oder eine ähnliche Bedeutung haben.

neue, innovative Technik

Nicht zu vergessen die größer-besser-weiter-Epidemie.

die weltbeste Technik

Wir sollen Adjektive nicht verbannen, sondern dosiert einsetzen, mit Wörtern neu kombinieren oder anders formulieren.

kompetentes TeamAls Team haben wir zusammengezählt 320 Jahre Erfahrung.

Verwende Adjektive nur, wenn sie die Bedeutung des Substantivs verändern. Oft stehen bedeutungsgleiche oder bedeutungsähnliche Wörter beieinander.

innovative Produktneuheitenneue Produkte

Wortwiederholungen, Füllwörter, Papierwörter: ungeliebte Anhängsel

Meide Wortwiederholungen auf engem Raum.

Saugi Katzenstreu ist die Katzenstreu für alle Katzenstreuliebhaber.

Achtung: Versuche nicht, krampfhaft Synonyme zu finden. Manchmal ist ein Brot ein Brot und kein Wecken, Backware oder gebackener Teigklumpen.

Saugi Katzenstreu ist die Stubentigereinstreu für alle Liebhaber porösen Granulats.

Oft lesen wir den Ratschlag, dass wir Füllwörter radikal canceln müssen. Es stimmt, dass sie Texte unnötig aufblasen wie einen Kugelfisch.

Saugi Katzenstreu saugt dann aber eben doch nur Katzenurin auf und kein Leck im Spülkasten.

Ich nutze Füllwörter gerne als Stilmittel, um den Text aufzulockern. Sie klingen mehr nach gesprochener Sprache und weniger nach ChatGPT und Kolleginnen.

Der erste Satz in den Brenner-Krimis von Wolf Haas zeigt, wie es geht.

Jetzt ist schon wieder was passiert.

Jetzt, schon und wieder fehlen auf keiner Füllwortliste, sind aber vom Autor bewusst gewählt und passen zum Schreibstil.

Füllwörter sind häufig sogenannte Partikeln (ja, der Plural ist richtig so). Einige Partikeln treten als andere Wortarten auf, weshalb mich so manche Füllwörterliste im Internet erschaudern lässt. Da stehen unzählige Wörter drauf, die im richtigen Kontext ihren Zweck erfüllen und wir sollen sie nicht rigoros streichen.

Schon kann ein Adverb, eine Modalpartikel oder eine Antwortpartikel sein. Das sind drei komplett verschiedene Wortarten. Jetzt kann ein Adverb oder eine Modalpartikel sein. Wieder ist ein Adverb. Frage dich bei Füllwörtern, ob du sie brauchst.

  • Setze sie sparsam ein.
  • Streiche überflüssige Füllwörter: Wenn sie die Bedeutung des Textes nicht verändern, weg damit.
  • Wenn es passt, nutze sie als Stilmittel.

Der kleine Bruder des Füllwortes ist das Papierwort. Diese Wörter kennen wir nur schriftlich. Niemand in der Geschichte der Menschheit hat sie jemals ausgesprochen. Bei Papierwörtern gibt es keine Ausnahmen. Streich sie.

demzufolge deshalb
alsbald → bald
unter Zuhilfenahme → mit

Verben: The Queen‘s Gambit

Verben sind die Königinnen unter den Wortarten und wir opfern zu ihrem Schutz andere Wortarten wie die Bauern auf dem Schachbrett. Was macht Verben besonders? Sie geben die Richtung vor und vermitteln Stimmung.

Vermeide statische Verben und ersetze sie durch dynamische Verben, die den Text vorantreiben, und Verben der Sinne.

Chantal befindet sich im Katzenklo. → Chantal scharrt/pinkelt/mauzt im Katzenklo.
Das ist gut. Das duftet/schmeckt/klingt gut.

Ziehe Verben nach vorne, damit sich Mark Twain nicht ärgern muss.

Damit saugst du nicht nur Katzenurin, sondern auch Kinderurin, Motoröl und einen Tsunami auf.
Damit saugst du nicht nur Katzenurin auf, sondern auch Kinderurin, Motoröl und einen Tsunami.

Formuliere passive Verben zu aktiven um. Das stärkt Aussagen. Beim Passiv wirken Menschen und Sätze, nun ja, passiv.

Saugi Katzenstreu wird von Katzen geliebt. → Katzen lieben Saugi Katzenstreu.

Manche Substantivierungen, wie das Wort Substantivierung, klingen sperrig und nach Beamtendeutsch. Schuld daran ist der Nominalstil, der Substantive gegenüber Verben bevorzugt. Verwandle Substantivierungen (vor allem, die auf -ung enden) zurück zu Verben.

Gemäß unserer Vereinbarung stelle ich eine Aufzählung folgender Artikel in Rechnung
Wie vereinbart verrechne ich folgende Artikel.

Warum sind juristische oder behördliche Texte schwer zu lesen? Sie dürfen keine Fehlinterpretationen zulassen. Deshalb sind die Sätze sehr komplex. Niemand soll etwas in den Text hineininterpretieren, das nicht da ist.

Lebendige Texte atmen vom Abstrahieren, indem wir von Einzelfällen auf Allgemeines schließen.

Katzenbesitzer, Katzensitter, Tierärzte, Tierkliniken und Tierheime zählen zu unseren Kunden.

Besitzer von Einzelkatzen und ganzen Tierheimen zählen zu unseren Kunden.

Gendern: willkommen in der neuen Welt

Das Thema der letzten Jahre. Für mögliche Varianten habe ich einen Blogartikel geschrieben. Beim Gendern gibt es nicht den einen Heiligen Gral, den Artus und seine Schreibstilritter gefunden haben (Ich glaube, Lancelot würde das Gendersternchen verwenden 💖). Alle Menschen ansprechen und leserfreundlich schreiben, hebeln sich nicht gegenseitig aus.

Wenige Wörter bereiten uns beim Gendern Probleme. Viele Wörter lassen sich mit einer Substantivierung von einem Partizip oder Adjektiv geschlechtsneutral machen (also genau das, was ich vorher bekrittelt habe 🤯).

lehrende die Lehrenden statt die Lehrer
Ärzte empfehlen ärztliche Empfehlung

Das ist nicht immer die eleganteste Lösung, berücksichtigt aber Frauen, Männer und Menschen, die nichtbinär sind.

Eines der Problemkinder kommt im Marketing häufig vor: Kunde. Das Wort ist schon eine Substantivierung des Adjektivs kund.

kund Kunde

Kundschaft ist eine Lösung, aber sperrig.

Je enger deine Zielgruppe, desto einfacher, weil konkreter.

Unsere Kunden fühlen sich dank der Kindersicherung wohl.

Eltern fühlen sich dank der Kindersicherung wohl.

Je konkreter, desto lockerer.

Kunden lieben Saugi. Du wirst Saugi lieben.

Wie du dich entscheidest, du bist deshalb nicht crazy SJW oder Frauenfeind.

Satzzeichen: von Punkten und Strichen

Das Rufzeichen ist der Spielplatzbully unter den Satzzeichen: Brutal und drängt sich in den Vordergrund.

Ein Rufzeichen reicht und setze es so dosiert ein wie Cayennepfeffer (außer es handelt sich um einen Spoiler Alert).

!!!1!!!1!

Hast du sicher schon einmal gesehen. Auf der Tastatur liegen die Ziffer 1 und das Rufzeichen ! auf derselben Taste. Um das Rufzeichen zu aktivieren, drückst du die Shifttaste.

Wenn Internetwutbürger vor lauter Rauch im Kopf die Shifttaste nicht gleichmäßig drücken, wechseln sich 1 und ! ab. Da niemand Kommentare vorm Senden durchliest, fällt es den feurigen Suderanten oft nicht auf. Mittlerweile ist das Phänomen zum Meme geworden und User verwenden eine Form von !!!1!!!1! oder !!11elf ironisch.

Apropos Ironie: Anführungszeichen umrahmen 3 Satzgefüge: Direkte Rede, Zitate oder wenn du über die Bedeutung eines Wortes oder Satzes schreibst. Die ständigen „“ als Marker für Ironie nerven. Leser sind nicht doof und erkennen Ironie. Heast, ich komme aus Österreich. Ich kommuniziere ausschließlich mit Ironie, Sarkasmus, schwarzem Humor. Lasst’s mich halt.

Ok, auf Social Media und in Foren ist Ironie mit Vorsicht zu genießen. Dafür gibt es bessere Methoden, als die vermaledeiten Anführungszeichen (z.B. das Zwinker-Emoji 😉, das Augenroll-Emoji 🙄 oder Tags wie </ironie>). Ironie mit Ironiezeichen markieren nimmt der Ironie die Ironie (alles klar?).

Fun Fact: Es gibt ein offizielles Zeichen für Ironie, aber niemand schert sich darum: ⸮ Wenn das Rufzeichen der Bully ist, ist das spiegelverkehrte Fragezeichen das ungeliebte Stiefkind der Satzzeichenfamilie.

Gutes Deutsch

EXKURS: Varietäten

Plädoyer für das österreichische Standarddeutsch

Germanisten sind in zwei Lager gespalten: Erkennen sie das österreichische Deutsch als gleichwertige Standardvarietät an oder nicht. Und was zur Hölle ist das?

Für die deutsche Sprache gibt es mehrere Standardvarietäten:

  • bundesdeutsches Deutsch
  • österreichisches Deutsch
  • schweizerisches Deutsch

Diese Varietäten können weiter in Umgangssprachen und regionale Dialekte unterteilt werden.

Jede Varietät unterscheidet sich in Wortschatz, Grammatik, Aussprache und Rechtschreibung voneinander. Alle drei sind gleichberechtigte Varietäten der deutschen Sprache und Teile Süddeutschlands haben mehr mit dem österreichischen Deutsch gemeinsam als mit dem bundesdeutschen.

Weil sich das schweizerische und das österreichische Deutsch vom bundesdeutschen unterscheiden, halten viele die beiden für Dialekte oder regionale Abweichungen. Das ist sprachhistorisch nicht richtig.

Eine Standardvarietät sollte den Sprachgebrauch abbilden und gleichzeitig verständlich sein. So, dass Wiener und Deutsche die Tiroler verstehen. Aber auch so, dass wir in Österreich zur Semmel nicht Brötchen sagen müssen.

Jänner = Januar
Schweinsbraten = Schweinebraten
das Keks = der Keks
auf Urlaub fahren = in den Urlaub fahren

All diese Formen sind korrekt. Eine Form ist nicht besser, schlechter, formeller oder korrekter. Das amerikanische Englisch ist ja auch keine dialektale Abweichung vom britischen Englisch.

Warum jammere ich von österreichischem Deutsch? Manchmal sitze ich beim Schreiben vor dem Bildschirm und überlege, welchen Artikel ich für E-Mail und Co. verwenden soll. Deutschland hat zehn Mal so viele Einwohner. Ein größeres potenzielles Publikum. Aber dann erinnere ich mich daran, dass ich hier in Österreich sitze und ich ein Mail verschicke und keine Mail.

Gesprochene Sprache ist nicht weniger wert als geschriebene Sprache

Wer bestimmt, was gutes Deutsch ist? Es gibt keinen galaktischen Overlord, der entscheidet, was gutes oder schlechtes Deutsch ist.

Wir beurteilen Akzente anders. Wir sind entzückt vom britischen Englisch, rümpfen beim Englisch der Südstaatler in den USA die Nase (Posh vs. Hillbilly). Ui, ein französischer Akzent, wie schön! Und bei einem türkischen Akzent?

Auch die Art, wie andere sprechen, bewerten wir. Beim Vocal Fry haben viele ein verzogenes Valley Girl vor den Augen (Wired hat tolle Videos zu den Themen Sprache, Dialekte und Akzente).

Wir bewerten ganze Sprachen aufgrund von gesellschaftlichen Faktoren unterschiedlich. Französisch: yay, Türkisch: nay.

Das hat einen soziolinguistischen Hintergrund: Die soziale Rangordnung kann durch Sprache hergestellt werden. Sprache ist ein Marker für „anders“ (in-group vs. out-group). Klasse und Migrationshintergrund spielen dabei eine Rolle und die Sprachvarietät einer Elite wird zur Norm erklärt.

Jeder von uns benutzt verschiedene Varietäten der deutschen Sprache. Wir nennen das Code-Switching. In meinem Heimatort Bad Goisern spreche ich anders als mit jemandem aus Berlin. Das ist nicht besser oder schlechter.

Deshalb machen Standards durchaus Sinn. Wir sollen nicht alle anfangen, in unseren Heimatdialekten und Akzenten zu schreiben (Ihr würdet die Hälfte nicht verstehen. Ach, Quatsch. Nicht mal ich versteh die Hälfte von den Ur-Goiserern). Aber passen wir mit voreiligen Bewertungen auf.

Schreibstil

Anfang

Der sofortige Einstieg in eine Handlung heißt Cold Open und kommt aus Hollywood. Vince Gilligan, der Macher von Breaking Bad, gilt als Kaiser dieser Technik. In der ersten Folge der Serie steigen wir vor dem Vorspann in die Handlung ein.

Kakteen, Felsen, blitzblauer Himmel. Eine Hose fliegt durch die Luft, landet auf einer Straße mitten in der Wüste. Ein Wohnmobil brettert über die Hose. Darin sitzen zwei Männer, beide mit Gasmasken auf den Gesichtern. Der jüngere der beiden sitzt bewusstlos auf dem Beifahrersitz, der ältere lenkt das Gefährt nur in weißer Unterhose bekleidet durch den Staub. Etwas klirrt, der Fahrer blickt sich um und wir sehen den Rest des Wohnmobils: Glas, Flüssigkeiten, Geld und zwei tote Männer schlittern auf dem Boden herum. Das Wohnmobil rast weiter, kommt von der Straße ab, landet in einer Böschung und bleibt rauchend stehen.

Das sind die ersten 40 Sekunden von Breaking Bad. Kein Dialog, nichts wird erklärt, wir sind sofort neugierig und fragen uns: Hui, was ist denn da los? Und wir wollen wissen, wie es zu dieser Szene gekommen ist.

Was für Fernsehen und Film gilt, können wir für jeden Text verwenden.

Platsch! Und schon wieder waren die Füße nass. Sabrina hatte keine Lust mehr jeden Morgen, wenn die Blase drückte, in den Urin ihrer Katze zu treten. Sie hatte jede Katzenstreu unter der Sonne ausprobiert, ihre Chantal rümpfte nur die Nase. Dann entdeckte Sabrina Saugi und ihre Katze verlässt seitdem das Katzenklo nicht mehr.

Neben dem Cold Open sind Fragen gute Möglichkeiten für einen Einstieg.

Pinkelt deine Katze auch immer neben das Katzenklo?

Spiele mit den Erwartungen deines Publikums.

Wie wischst du eine Ölpfütze vom Fliesenboden weg? Mit Wasser und Seife verschmierst du die Fettschicht nur. Keine Angst, du musst die Fliesen nicht aus dem Boden stemmen. Saugi Katzenstreu ist die Lösung. Streu die Klumpen über den Ölfleck, dann kannst du sie bequem mit Besen und Schaufel beseitigen. Und den Urin deiner Katze saugt sie auch auf.

Logische Struktur

Achte auf Symmetrie im Aufbau: Einleitung — Hauptteil — Schluss. Die Einleitung soll nicht länger sein als der Hauptteil. Die Einleitung regt zum Weiterlesen an, der Schluss rundet alles ab.

Sätze und Überleitungen sollen logisch aufeinander aufbauen. Leser können einem abrupten Themenwechsel mitten im Text nicht folgen. Um logische Lücken zu vermeiden, hilft die Formel These — Antithese — Synthese. Das ist nicht bei jedem Text notwendig, hilft aber, den roten Faden nicht zu verlieren.

W-Fragen sind gute Mittel, um auf keine wichtigen Infos zu vergessen. Neben wichtigen Informationen gibt es banale Fakten, die du nicht erwähnen musst. Dass die Erde rund ist, wissen die meisten Menschen. Es sei denn, dein Publikum besteht aus Flat Earthers.

Information geschickt einbauen

Meide Infodumps. Show, don‘t tell ist meine Lieblingsschreibregel, auch wenn sie nicht immer einfach anzuwenden ist.

Tell: Chantal war eine hochnäsige Katzendiva.

Show: Chantal rümpfte beim Anblick des Katzenklos die Nase. Sie mauzte, stolzierte in die Küche und verlangte ein Leckerchen. Sabrina bot ihr Zanderfilet an, Chantal verweigerte und pinkelte auf den Teppich.

Menschliche Gehirne sind so aufgebaut, dass sie Lücken füllen. Wir können Sätze ohne Vokale lesen und sehen in Steckdosen Gesichter. Nur öde Fakten sind ein Garant für Schlummerstunden. Lockere deinen Text mit Fallbeispielen, Zitaten und sprachlichen Bildern auf.

Verbanne Redewendungen, Metaphern und Vergleiche, die wir alle auswendig kennen. Entweder schmeißt du sie komplett aus dem Text oder dir fällt eine neue Variante ein.

reden wie ein Wasserfall reden wie die Niagarafälle
Leser fesseln Leser an ihre Sitze festtackern
Ihr fällt ein Stein vom Herzen ihr fällt ein Brocken von der Pumpe

Versuche, nicht zu clever zu schreiben. Jeden zweiten Satz mit einem sprachlichen Bild schmücken, ist Overkill. Und wenn die Vergleiche und Metaphern deinen Lesern unbekannt sind, hilft das hübscheste sprachliche Bild nix.

Wie aus heiterem Äther verpuffte ihre Nervosität. Ihr fiel ein Brocken von der Pumpe. Sie hypnotisierte ihr Publikum, tackerte es an den Sitzen fest und redete wie die Niagarafälle. Sie war erleichtert wie Grogu, nachdem ihn der mandalorianische Kopfgeldjäger aus den Fängen Moff Gideons befreit hatte.

Chantal

Stimmung

Für Spannung sorgt nicht nur Stephen King. Nutze Tempo in deinem Text. Kurze Sätze vermitteln mehr Spannung als Sätze von der Raupe Nimmersatt. Ein Satz kann aus einem Wort bestehen. Lautmalereien oder Sätze, die mit einer Konjunktion beginnen, sorgen für Abwechslung.

Platsch! Und wieder landete ihr nackter Fuß in der Urinpfütze.

Wenn du eine verträumte Stimmung vermitteln willst, eignen sich Stakkatosätze weniger. Lass dir Zeit und weite die Sätze aus.

Ich liebe Geschichten, die das Tragische und das Komische verbinden. Serien werden oft in die Kategorien Comedy und Drama eingeteilt. Meine Lieblinge sind Dramedys, die beide Elemente gekonnt miteinander verknüpfen. Bringt mich ein Text, Film oder einer Serie zum Weinen und Lachen (wie Guardians of the Galaxy Vol. 2 😭 🤣 😭 🤣 😭): Lasst die Korken knallen, das ist der Jackpot!

Verbinde beide Elemente und kitzle die gesamte Gefühlspalette deiner Leser.

Zwischenüberschriften lockern den Text auf und dienen als Teaser. Halte Absätze kurz (nicht länger als fünf Zeilen, das regt zum Weiterlesen an).

Ein Absatz kann aus einem Satz bestehen und sticht dadurch heraus.

Bring Dynamik in deinen Text. Brich Rhythmen, wechsle kurze mit langen Sätzen und Absätzen ab. Ich bin keine Freundin von Texten im Klopapierrollenformat (Gibt es auch im Internet zu finden).

Persönlichkeit

Jeder Autor hat eine Autoren- oder Schreibstimme. Die entwickelt sich mit der Zeit und zeigt einen Teil deiner Persönlichkeit.

Deine Zielgruppe hat auch eine Persönlichkeit. Schreibe aus ihrer Sicht, und denke an den Leitsatz: Wenn du für alle schreiben willst, schreibst du für niemanden.

Nutze Vorbehalte deiner Leserschaft. Niemand zahlt gerne mehr, als es sein muss. Wenn du ein teures Produkt verkaufst, sprich es frontal an. So machst du es zu deinem Alleinstellungsmerkmal. Ich kenne viele Texterkollegen, die sehr hohe Preise verlangen, das aber begründen. Die Preise vermitteln Qualität, Expertise, jahrelange Erfahrung und Exklusivität.

Brich die vierte Wand. Nimm dir ein Beispiel an Deadpool und sprich dein Publikum direkt an.

Fragst du dich, wie eine Katzenstreu zum Pinkelparadies für jede Miez wird?

Autor Wolf Haas hat sich bewusst gegen strenge Schreibregeln entschieden. Ihm fiel auf, dass Romane nicht so geschrieben sind, wie die Menschen sprechen. Sein Ton, Stil und damit seine Schreibstimme sind einzigartig und sofort erkennbar.

Sei kein Sprachpurist

Lockere deine Texte mit Umgangssprache oder Anglizismen auf. Übertreibe es nicht. So manch ein Text, der in Jugendsprache (was soll das sein?) im Web herumschwebt, wirkt wie Trump im Weißen Haus: aufgeblasen, gekünstelt und fehl am Platz.

Viele erleiden Heuschnupfen beim Anblick von Anglizismen. In Maßen sind sie nicht der Untergang der deutschen Sprache. Im Deutschen wimmelt es vor Lehnwörtern aus dem Französischen, Italienischen oder von Mikronesien. Nur das Englische verhunzt unsere Sprache angeblich.

Für uns sind Lehnwörter aus dem Französischen oder Lateinischen nicht mehr fremd, weil wir sie vor hunderten Jahren übernommen haben. Puristen versuchten damals auch, für diese Wörter deutschere zu erfinden.

Einige haben sich durchgesetzt:

Distanz Abstand
Moment Augenblick
Parterre Erdgeschoss

Andere nicht:

Kultur → Geistesanbau
Pistole → Meuchelpuffer
Mumie → Dörrleiche
Katholiken → Zwangsgläubige
Nonnenkloster → Jungfernzwinger

Hmmm … ich erkenne ein Muster. Die Herren lebten im Zeitalter der Aufklärung.

Das wäre selbst dem barocken Sprachpapst Johann Christoph Gottsched zu bunt gewesen.

Kürzen, umstellen, umformulieren und kürzen

Mach dir keine Sorgen über die erste Version deines Textes. Die ist meistens schlecht. Gib die Texte in den Häcksler: trimme, forme, rasple, rasiere, epiliere.

Schmeiß inhaltliche Doppelungen raus und kürze Bandwurm- und Schachtelsätze. Niemand von uns ist Thomas Mann, einer der wenigen, der mit langen Sätzen umgehen konnte. Wenn dir beim lauten Vorlesen vor Ende des Satzes die Puste ausgeht, ist er zu üppig. Teile ihn auf zwei Sätze auf. Stelle dir die Frage, ob jede Information in dem Satz wichtig ist und verbanne die zentrale Info nicht in einen Nebensatz.

Nicht jeder lange Satz ist schwer zu lesen. Gut gegliederte, nicht verschachtelte Sätze existieren.

Vermeide zu viele Aufzählungen im Fließtext.

Was ich für Sie erledige: Schreiben, texten, korrigieren, lektorieren, subtrahieren, multiplizieren, Leichen einfrieren, Katze kastrieren.

Fasse sie entweder zusammen oder mach eine Liste daraus.

Komplexe Texte

Holpern Textstellen, wenn du sie laut vorliest? Versuche sie umzustellen und einfacher zu machen. Lese den Text mindestens einmal in einer anderen Schriftart. Wenn du den Text in serifenloser Schrift schreibst, formatiere ihn für eine Leserunde zu einer Schrift mit Serifen. Den Text laut vorlesen lassen bietet einen weiteren Blickwinkel. Ich höre mit Hilfe der Roboterdame im Schreibprogramm Fehler, die meine betriebsblinden Augen überlesen.

Vermeide Fachbegriffe, es sei denn, du schreibst eine Uniarbeit. Auch diese Regel gilt nicht immer. Fachbegriffe sind willkommen, wenn sie wichtig sind, du sie erklärst oder sie für ein fachkundiges Publikum sind. Ich halte nicht viel von der berüchtigten Regel, wir sollen im Marketing so schreiben, dass es Kinder verstehen. Unsere Leser sind Erwachsene, mit denen will ich nicht in Babysprache plaudern.

Lasse den Text über Nacht oder länger liegen. Die Grammatikfee findet erstaunlich viele Fehler in den Schlummerstunden.

Gutes Deutsch ist gutes Handwerk

Du darfst Sprachregeln hinterfragen. Einige ignoriere ich oder wandle sie ab. Auf viele bin ich nicht eingegangen (es gibt 12.908.756.478, ja ich hab sie alle gezählt).

Ein Beispiel: Kennst du den Ausdruck „Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod“? Der Genetiv ist dichterisch und erhaben und sein angeblicher Rückgang wird betrauert. Aber ist das der Sinn von Sprache? Wir reden und schreiben nicht mehr so wie vor 100, 200 oder 1000 Jahren. Sprache entwickelt sich weiter, das können selbst Sprachpuristen und die Genetivstasi nicht ändern.

Es sind keine Musen, die uns zu Autoren machen, sondern unser Handwerk. An Genieblitze glaubten selbst die Stürmer und Dränger nicht lange.

King schreibt in seinem Werk On Writing (das jeder Schreibende in seinem Bücherregal haben sollte), dass gute Autoren viel lesen und schreiben. Schreiben ist ein Handwerk: Zuerst die Regeln kennen, 1001-mal schreiben und wissen, wann und warum du Regeln brichst. Damit auch Mark Twain endlich Ruhe gibt.

Welche Schreibregeln befolgst du, welche nicht? Verbannst du Wörter aus deinen Texten? Hast du eine Chantal daheim? Schreibe es gerne in die Kommentare!