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Spätestens bei der eigenen Website stellt sich für Selbstständige die Frage: Spreche ich Besucher mit Du oder Sie an? Ich zeige dir, worauf du bei der Anrede achten musst, gebe dir Entscheidungshilfen und verrate, warum ich mich für das Du entschieden habe.
Sie, Du oder du?
Sie für Fremde, Du für Familie und Freunde. Die simple Regel hat dutzende Ausnahmen, Sonderformen und Abers. Im Internet scheint dieses Gesetz der Pronomen komplett über den Haufen geworfen. Im Web sind wir uns fremder als im realen Leben (Sind wir das?), trotzdem duzen wir uns online eher als offline.
Logo, das Du ist ja hipp und modern, so wie das Internet. Nicht verstaubt und altbacken wie ein Sie.
Viele verbinden mit Sie und Du weitere Klischees: Sie = Respekt, Seriosität und Professionalität. Es ist aber auch distanziert, altmodisch und humor- und emotionsbefreit.
Mit einem Du verknüpfen wir Modernität, Verbundenheit, Vertrautheit. Aber auch null Respekt, Unhöflichkeit und weniger Seriosität.
Ist das wirklich so?
Nur weil du Besucher deiner Website mit Du ansprichst, bist du nicht gleich respektlos (außer du bist es tatsächlich). Du kannst auch siezen und ein pampiger Tölpel sein.
Umgekehrt bedeutet ein Sie nicht automatisch kühle Distanz. Ein Sie kann herzlich oder humorvoll sein. Und manche Umstände verlangen ein bisschen mehr Förmlichkeit.
Entscheidest du dich für das Duzen, musst du zwischen Du oder du wählen. Grundsätzlich gilt: Redest du jemanden persönlich an (z.B. in einer Mail), hast du Narrenfreiheit. Sprichst du alle Besucher auf deiner Website an, bleibt das Du klein.
Angst vor dem Du
Obwohl sich das Du vor allem im Internet schnell verbreitet, haben viele Selbstständige Angst davor und greifen aus Vorsicht lieber auf das Sie zurück. Zu den Bedenken gehören, eine potenzielle Kundschaft zu vergraulen oder forsch zu wirken.
Eine weitere Sorge ist, dass ein Du unseriös erscheint: Der Umgangston deutet eine lockere Poolparty und kein ernsthaftes Unternehmen an.
Da halte ich entschieden dagegen. Nur weil Sie draufsteht, muss nicht Seriosität drin sein. Das gilt nicht nur für Sie oder Du. Was ist mit Kleidung oder Fotos? Wirkt ein legeres Outfit unseriös oder einfach nur locker und dadurch sympathisch?
Eine Kollegin hatte das Problem mit ihrem Fotografen, der sie für ihre Website unbedingt in eine weiße Business-Bluse stecken wollte. Sie fühlte sich unwohl und das war auf den Bildern nicht zu übersehen. Ein T-Shirt, offene Haare und ein Lächeln machten bei einem zweiten Shooting einen riesigen Unterschied.
Aus purer Panik sich hinter einem Sie zu verstecken, halte ich für keinen guten Grund. Um jeden Preis duzen, nur weil man das jetzt so macht, ist ebenfalls eine Sackgasse. Wenn das Sie besser zu dir und deiner Zielgruppe passt, dann sieze. Fühlen du und deine Kundinnen sich mit Du wohler, duze.
Sie oder Du — Eine Frage des Alters?
Ich habe jahrelang neben der Uni im Einzelhandel gearbeitet. Ich konnte meistens ganz gut einschätzen, wen ich wie ansprechen darf. Einmal ist es mir passiert, dass ich eine Kundin (ca. 50 Jahre alt) geduzt habe. Sie stand in einer Schlange voller Schüler, die ich nie siezen würde, und da ist mir ein „Griaß di“ („grüße dich“ für alle Nicht-Salzkammergutler) rausgerutscht. Prompt kam die Antwort: „Das heiß aber schon noch Grüß Gott.“
Später hat sie meinen Chef angerufen und sich beschwert. Nicht nur über mich, sondern über die Jungen im Einzelhandel allgemein, die kein Sie mehr kennen würden.
Mal abgesehen davon, dass mir als agnostische Atheistin das „Grüß Gott“ auf den Keks geht: Im Salzkammergut kann es sein, dass ich jemanden sieze und der mich fragt: “Hast einen Vogel? Bei uns duzt man sich!”
Du siehst: Weder im Internet noch offline gibt es eine eindeutige Antwort auf das Dilemma mit dem Sie und Du.
Viel wichtiger als strenge Regeln sind deine Zielgruppe und welches Pronomen zu dir passt.
Zielgruppe und Branche
Wer ist deine Zielgruppe? Wo ist sie unterwegs? Wie spricht sie im Internet? Recherchiere und finde heraus, wie sie angesprochen werden will. Halte die Augen offen in Gruppen, Foren und Blogkommentaren. Dort genügt oft ein Blick, um den Umgangston zu scannen. Ein Sie in einem Sportforum wirkt befremdlich, für manche arrogant. In den Kommentaren unter einem Artikel der Zeit ist es umgekehrt. Die Menschen siezen sich.
Die Branche in der deine Kunden und du dich befinden, sind ein weiterer Faktor. Kreative Selbstständige stehen einem Du meist aufgeschlossener gegenüber als eine Versicherung oder Bank.
Oder du schwimmst gegen den Strom und fällst dadurch auf.
Bleiben wir beim Beispiel Bank. N26 und Holvi benutzen bei ihren Webauftritten das Du. Macht Sinn, da sie ein junges, eher kreatives Publikum ansprechen. Sparkasse und andere traditionelle Banken verwenden das Sie.
Für mich als Solopreneurin ist es einfacher, mit dem Du. Ich repräsentiere keine Firma mit zig Angestellten, Agentur und kein großes Unternehmen.
Du und Deine Marke
Wie fühlst du dich mit einem Du oder Sie? Weder ein Sie, bei dem dir jedes Mal schlecht wird, wenn du es schreibst, noch ein Du mit ähnlichen, magenumdrehenden Symptomen ist die richtige Wahl.
Im Endeffekt zählen deine Inhalte. Wenn der Content top ist, fällt mir auf einem Blog nach einer halben Minute lesen das Siezen oder Duzen nicht mehr auf.
Mails und Soziale Netzwerke
Schreibst du eine Mail an jemanden und bist dir wegen der Anrede unsicher, schaue auf deren Website nach. Wird auf der Website gesiezt, würde ich auch bei einem Erstkontakt siezen. Wird geduzt, scheue ich mich nicht davor, zurückzuduzen.
Wenn dich jemand zuerst kontaktiert, passe dich im Zweifel an den Absender an. Ich bestehe nicht auf Biegen und Brechen auf ein Du.
Und wenn du komplett ratlos bist, lass dein Bauchgefühl entscheiden. Es hat über die Jahre unterbewusst so viele Sinneseindrücke gesammelt, dass es weiß, was es tut.
Einzelpersonen kannst du oft mit Du ansprechen, Firmen, Verbände oder Behörden mögen meist ein Sie lieber. Aber selbst Big Player wie IKEA duzen uns.
Persönlich mag ich Newsletter mehr, die mich duzen. Das heißt nicht, dass ich einen Newsletter, in dem ich gesiezt werde, gleich in die Tonne schmeiße. Wenn der Inhalt passt und für mich relevant ist, bleibt er in meiner Postbox.
Auf Facebook ist ein Du gängig, während auf Xing oder LinkedIn eher das Sie vorherrscht. Was zunächst willkürlich erscheint, macht auf den zweiten Blick Sinn.
Facebook ist in erster Linie ein Netzwerk, in dem man sich privat tummelt und austauscht. Unternehmen haben Facebook später für sich entdeckt. Xing und LinkedIn sind dagegen Business-Netzwerke. Hier geht es nicht um privaten Austausch, sondern um Verbindungen zwischen Unternehmen.
Meine Gründe für das Du
Für mich war die Entscheidung mühelos: Egal ob Website, Newsletter oder Social Media: Du wirst mit Du angesprochen.
- Ich bin mit vielen Dus aufgewachsen. In meinem Heimatort gibt es kein Sie. Jeder grüßt, wenn man sich auf der Straße begegnet mit dem oben erwähnten „Griaß di“.
- Das Du passt besser zu mir und meiner Zielgruppe.
- Das Du siebt Interessenten aus, die nicht zu mir passen. Wenn sich ein potenzieller Kunde wegen des Duzens auf den Schlips getreten fühlt, will ich gar nicht mit ihm zusammenarbeiten.
- Es gehört zu meinem Personal Branding und war eine bewusste Entscheidung. So wie meine Fotos im Grünen und nicht in einem Büro mit weißer Bluse. Außerdem passt es besser zu meinem Überthema Storytelling.
- Mein Schreibstil ist locker, mit einer Prise Humor und ein paar popkulturellen Anspielungen. Da wirkt ein Sie fehl am Platz.
- Ich bin ein alter Englisch-Freak und manchmal wünsche ich mir, dass das Deutsche so einfach ist wie das Englische.
- Bei mir bleibt das Du klein, auch in einer Mail. Hauptsächlich, weil ich die Shift-Taste die meiste Zeit ohnehin vergessen würde (Ausnahme: Dieser Blogartikel, weil ich ja von DEM Du spreche. Hab ich schon erwähnt, dass mir Englisch manchmal lieber ist …).
Wie stehst du zum Sie vs. Du? Mit welcher Variante fühlst du dich wohler, was verwendest du? Hat sich ein Kunde oder eine Kundin deswegen jemals beschwert? Schreib es in die Kommentare!